Der Schüberg und seine Sagen
Um die Jahrhundertwende wurden die Schübergsagen zum ersten Mal von dem Poppenbüttler Lehrer, Heimatforscher und Dichter Ludwig Frahm (1856-1936) niedergeschrieben. Ludwig Frahm, aufgewachsen in Timmerhorn, hatte als Kind das heimatliche Sagengut gehört, das man sich zwischen dem Duvenstedter Brook, Bargteheide und Ahrensburg erzählte. Er hörte die Sagen von seiner Großmutter „Stina-Mudder“ (Christina Frahm, 1786-1871) und dem Jäger Hinrich von Jüssa, dem Timmenhorner Nachbarn der Frahms. Christina Frahm hat fast ein Menschenalter in Timmerhorn verbracht und war nicht nur eine gute Zuhörerin, wenn ihre Nachbarn von den alten Zeiten erzählten, sondern hat auch alles gut behalten und weitererzählt. Von ihr hörte auch Ludwig Frahm in seiner Kinderzeit die Sage vom „Schlafenden Heer im Schüberg“. Hinrich von Jüssa stammte aus Köthel an der Bille. Er konnte weder lesen noch schreiben, besaß dafür aber ein vortreffliches Gedächtnis und behielt alles, was ihm einmal erzählt worden war, außerdem hatte er selbst eine große Begabung für das Geschichtenerzählen. Aus seinem reichen Erzählgut stammt die Sage von den Riesen, die sich mit Felssteinen bewarfen und Berge entstehen lassen konnten.
Wie bei allen ursprünglich ausschließlich mündlich überlieferten Erzählungen hing es ganz von der Wesensart und der Lebenshaltung des Erzählers ab, wie er das Sagengut weitergab. So entstanden dann leicht verschiedene Variationen um das gleiche Thema. Auch Ludwig Frahm hat mitunter verschiedene Fassungen gewählt. Daher bleibt die Frage offen, welche Gestalt die Sage in ihrer Urform hatte.
In der Sage von der Entstehung des Schübergs verbinden sich zwei auch im übrigen Schleswig-Holstein bekannte Themen. Es handelt sich einmal um die Herkunft der sog. Riesensteine, zum anderen um die Entstehung unserer Berge.
Um 1889 veröffentlicht Ludwig Frahm die Sage „Der Riesenstein“. In ihr ist noch nicht vom Schüberg die Rede. Sie lautet:
„Eine Viertelstunde außerhalb von Bargteheide, an der Landstraße nach Bergstedt, lag noch vor mehreren Jahren ein mächtiger Felsblock, von Riesenhand dorthin geworfen. Deutlich sah man noch die Eindrücke der Finger. Zwei Riesen, von denen der eine zu Hamburg, der andere zu Lübeck stand, befehdeten sich und suchten die Türme der feindlichen Stadt zu zertrümmern, doch reichte ihre Kraft nicht aus. Der Fels des Hamburgers blieb hier; der des Lübeckers bei Bergstedt liegen. Vor einiger Zeit wanderte der Riesenstein bei Bargteheide in mehr denn zwanzig Wagenladungen nach Hamburg und bildet dort an einem freien Platz eine Grotte.“
Eine ähnliche Sage stammt aus Schwarzenbek, der Lauenburger Heimat unseres Erzählers von Jüssa:
„Riesen hat es in alter Zeit auch in der Gegend von Schwarzenbek gegeben. Sie wetteten einst mit einem Bauern, sie wollten einen großen Stein eine Meile weit in den Sachsenwald hineinwerfen. Das gelang ihnen. Der Stein liegt noch heute als Deckstein auf dem Riesenbett im Brunstorter Wildpark. Auch der Stein im Teiche zu Hamfelde soll von den Schwarzenbeker Riesen dorthin geworfen worden sein.“
War schon in der Geschichte vom Bargteheider und Saseler Riesenstein von Türmen die Rede, nehmen andere Sagen aus Schleswig-Holstein eindeutig den Wurf nach der Kirche als Motiv auf, wie aus der Gegend um Segeberg/Plön, verschiedenen Orten Schleswigs und Frieslands überliefert ist. Mitunter wird auch das Geläut der Glocken als Ursache des Zorns der Riesen angegeben.
Das zweite Thema, die Entstehung unserer Berge, nimmt auch eine Sage aus Fockbek auf, die in dieser Hinsicht unserer Schübergsage verwandt ist:
„Einmal ist ein Riese von Süden her über die Eider gekommen und von Nübbel über Fockbek nach Lohe gegangen. Als er nach Fockbek kommt, hat er seine Holzschuhe schon bis oben hin ganz voll Sand gehabt. Er mußte den Sand ausschütten, und das gab eine ganze Menge. Davon heißt der Berg bei Fockbek noch heute der Schütterberg.“
Zwischen 1815 und 1853 wurde der Riesenstein für zehn Taler verkauft und gesprengt. Die Steine sollen zum Bau von Sielbrücken des Gutes Berne verwendet worden sein. Der Bargteheider Stein erlitt im Jahre 1878 das gleiche Los.
Der „Opferstein“ in Sasel. Nach einer Lithographie von Otto Speckter
„Das schlafende Heer im Schüberg“ hat, wie die Sage vom Steinwurf der Riesen und dem Ausschütten des Sandes, gleichfalls Parallelen bzw. Vorbilder. Die Verwandtschaft mit der Sage vom schlafenden Kaiser im Kyffhäuser, die in ganz Deutschland verbreitet ist, scheint unübersehbar. Die Kaisersage hat ihren Ursprung in Erzählungen aus dem Altertum, die von den Germanen übernommen, im Mittelalter weiter ausgeschmückt, schließlich im 15. Jahrhundert durch Verwechslung Friedrich II. mit Friedrich dem Freidigen von Thüringen auf Friedrich II. bezogen wurden. Erst 1519 wurde statt Friedrich II., der dem Volksbewußtsein entschwunden war, Friedrich I. Barbarossa als Kaiser der Zukunft genannt. Besonders durch Rückerts Gedicht „Barbarossa“ wurde vor allem zur Zeit der Romantik diese Sagengestalt volkstümlich. Die Lehninsche Weissagung (angeblich um 1300, vielleicht aber auch erst im 16. oder 17. Jahrh. entstanden) deutet die Sage auf die Hohenzollern.
Das gleiche Sagenmotiv ist auch in Schleswig-Holstein zu finden. Müllendorf berichtet:
„Nahe bei Tönning ist ein kleiner Hügel mit einer Höhle. Darin sitzt König Dan mit zweimalhunderttausend Mann, und alle schlafen. Ein Soldat war zum Tode verurteilt. Ihm sollte das Leben geschenkt werden, wenn er in den Hügel ginge und von König Dan Nachricht brächte. Der Soldat ging in die Höhle. Da saß der alte König vor einem Tisch und hatte sein Haupt auf den Arm gestützt und schlief, sein Bart aber hing ihm unter den Tisch, und die andern standen alle um ihn herum. Als nun der Soldat eintrat, erwachte der König und fragte ihn, was er wolle. Der Soldat antwortete, daß er von seinem Könige hereingeschickt sei und Nachricht von ihm, dem König Den, bringen solle. Da erwiderte König Den, er solle nur dem König sagen, daß er einst an ihn dächte, wenn er in Not wäre; dann wolle er ihm mit allen seinen Leuten zu Hilfe kommen und die Feinde vertreiben und ihm zur Herrschaft über die ganze Welt verhelfen. Der König mußte aber nicht zu rechter Zeit an ihn gedacht haben.“
Aus Müllenhoffs Sammlung stammt auch die Sage von Holger Danske:
„Holger Danske sitzt mit seinem ganzen Heer in einem Berge bei Mögeltondern, von wo er einst aufstehen wird, um für die Christenheit zu streiten. Denn es wird eine Zeit kommen, wo die Türken das ganze Land innehaben und unser Heer geschlagen ist; sie werden ihre Rosse in der Königsau tränken. Dann aber wird Holger Danske kommen, und unter seiner Anführung werden die zwölfjährigen Knaben des Landes die Feinde völlig schlagen und das Land befreien.“
Auch das schlafende Heer bei Mönch-Neversdort (Müllenhoff 586) wird einst erwachen, um die Türken zu schlagen. Fürstliche Helden halten lt. Ludwig Frahm (1889) im Schüberg und Bocksberg einen langen Traum bis zum „Erwachen in großer Zeit“.
Die erste vollständige Fassung vom schlafenden Heer im Schüberg veröffentlichte Ludwig Frahm im Jahre 1891:
„Im südlichen Teil Stormarns, ungefähr drei Meilen nordöstlich von Hamburg, erhebt sich im adeligen Gute Hoisbüttel, ein Viertelstündchen von dem gleichnamigen Dorfe, die runde, schön bewaldete Kuppe des Schübergs. In der Tiefe dieses Berges weilet ein mächtiges schlafendes Heer. Vor grauen Jahren, nach einem langen Kriegszuge, ist dasselbe zu mitternächtiger Stunde dort eingezogen, und der Schoß des Berges hat sich darauf geschlossen. Einst, vor etwa 700 Jahren, zog ein armer, müder Schmiedsgeselle in der Stunde der Abenddämmerung die Straße von Hamburg nach Lübeck. Außerhalb des Dorfes Hoisbüttel gesellte sich ein altmodisch gekleideter alter Mann zu ihm und fragte unsern Gesellen in sonderbarem Dialekt, ob er Pferde beschlagen könne. Ob er aber auch vielen Pferden schnell die Hufeisen nachsehen und die fehlenden und schadhaften ergänzen könne, es verstände sich für einen guten Lohn. Auf das ging der Schmied ein. Und nun führte der sonderbare Mann ihn abseits vom Wege, unter einem Eichengebüsch tat sich eine Öffnung auf, und unser Schmied sah eine fast unabsehbare Höhle, in der sehr wenige Lichter brannten, vor sich. Der ganze Raum war von Rossen gefüllt, und auf ihnen saßen schwer gepanzerte und gewappnete Ritter, alle in tiefen Schlaf versunken. Der Schmied wollte sein Erstaunen durch Worte kundgeben, aber der Alte, der offenbar als Stallmeister fungierte, gebot ihm Schweigen und nötigte ihn, ans Werk zu gehen. Als der Geselle seine Arbeit getan, wurde er gefragt, welchen Lohn er begehre. „Gebt mir nur die alten Hufeisen, so bin ich zufriedene“ antwortete der Gefragte. Als er beim Aufsammeln des letzten den Steigbügel eines Ritters berührte, fragte dieser, ob es jetzt Zeit wäre. „Nein“, sagte der Alte, „schlafe nur ruhig weiter!“ Der Geselle wurde wieder an die Straße geführt, und als er beim Morgengrauen die Hufeisen besah, da waren sie von eitel Silber. Er konnte sich nun bei Lübeck eine Schmiede kaufen und blieb ein wohlhabender, ehrlicher Meister sein Leben lang. Alle Jahre mußte er aber auf drei Tage verreisen, um diese Arbeit zu verrichten. Er erzählte erst auf seinem Totenbette davon.
Der Müller von der Hoisbütteler Mühle kam auch hinter das Geheimnis des Berges. Er hatte zwei Schweine, die am Morgen ihren Stall verließen und erst am Abend heimkehrten. Sie fraßen bei ihrem Besitzer nicht und waren doch schneckenfett. Da spürte der Müller ihnen einmal nach und sah, dass sie in den Berg krochen. Beim Schlachten fand er ihren Bauch mit Hafer gefüllt. Derselbe war den vielen Pferden aus den Krippen gefallen. Der Müller wollte seinen Schweinen im nächsten Jahr den Weg zur Mästung zeigen, aber die Öffnung des Berges war nicht zu finden.“
Ludwig Frahm hat die Schübergsagen im Laufe seines Lebens noch mehrfach veröffentlicht. Sie gleichen sich meist nicht und bringen mitunter andere Motive. Von besonderer Schönheit sind seine später gebrachten plattdeutschen Wiedergaben, die viel mehr Ursprünglichkeit besitzen, als die Erzählungen in der hochdeutschen Schriftsprache.
Die Schübergsagen sind von zahlreichen Autoren nacherzählt worden.
Quelle:
Alf Schreyer
Unsere Heimat die Walddörfer 1976, S. 57, 71, 73